Warum haben die Stadtwerke sich für diese Investition in Merzdorf entschieden?
René Röthig: Ganz voran gestellt sei erwähnt, dass sich unser Kraftwerk „HKW Merzdorf“ auf Gröbaer Flur befindet. Dennoch verwenden wir den eingeführten historischen Namen „HKW Merzdorf“, wenn Sie so wollen, aus Tradition weiter. Den ortskundigen Bürgern, die uns regelmäßig nach Veröffentlichungen schreiben, dass es sich um die Gemarkung Gröba handelt, möchte ich hier gleich vorab bestätigen, dass sie Recht haben, unser „HKW Merzdorf“ steht auf Gröbaer Flur.
Nervt es Sie, wenn bei einem solchen Großprojekt offensichtlich Nebensächlichkeiten wie der korrekte Name der Gemarkung die Leute bewegt?
René Röthig: Nein, gar nicht, ganz im Gegenteil fände ich es schade, wenn man berichten könnte, was man will – schließlich investieren wir nicht jeden Tag 5 Mio. Euro in einen Standort – und keinen würde es interessieren. Auch die Genauigkeit, mit der unsere Aktivitäten verfolgt werden, finde ich grundsätzlich gut. Die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen technischen, ökonomischen, ökologischen und rechtlichen Aspekten, gerade in der Energieversorgungsbranche, sind mittlerweile so komplex, dass es auf die meisten Fragen keine einfachen sachgerechten Antworten mehr gibt. Da ist es eher hilfreich, wenn man einige Kunden hat, die Interesse an unseren Aktivitäten zeigen und sich die Zeit auch für Details nehmen.
Was hat die Stadtwerke veranlasst 5 Mio. Euro in das „HKW Merzdorf“ zu investieren?
René Röthig: Grundsätzlich versorgen wir mit unserem dortigen Kraftwerk u.a. das Reifenwerk Goodyear mit Prozessdampf zum Vulkanisieren der Reifen, das anliegende Wohngebiet und auch z. B. die neu sanierte Schule „Am Merzdorfer Park“ mit Wärme und Strom.
Die Technik, insbesondere eine leistungsstarke Turbine, die wir dafür im Einsatz hatten, war nun schon über 20 Jahre alt und hatte schlicht die Verschleißgrenze erreicht. Um die Erneuerung ohne Unterbrechung der Versorgung unserer Kunden zu realisieren, haben wir diese Investition als Projekt geplant.
Worin bestanden die besonderen Herausforderungen des Turbinenaustausches?
René Röthig: Im übertragenen Sinne bestand die Herausforderung darin, bei voller Fahrt und ohne Leistungsabsenkung den Motor eines LKWs zu wechseln und trotzdem die Fracht pünktlich und unversehrt zum Kunden zu bringen, so dass dieser keinerlei Einschränkungen hat.
Dass so ein Projekt allein schon technisch nicht ganz profan ist, macht das gewählte Gleichnis sicher deutlich.
Neben der technischen Lösung galt es, alle bau- und emissionsrechtlichen Genehmigungen sowie die Demontage- Überbrückungs- und Montagelogistik zu planen, zu koordinieren und bei Normabweichungen sofort zu reagieren.
Gab es denn bei der Umsetzung Abweichungen von der Planung? Und wenn ja, welche?
René Röthig: Dass Theorie und Praxis nicht deckungsgleich sind, hat wohl jeder schon erfahren, der in beiden Bereichen tätig ist. Ja, auch bei uns gab es Anpassungsbedarf, weil z. B. geplante Abläufe in der Praxis nicht exakt so umgesetzt werden konnten. Als plakatives Beispiel kann man nennen, dass die Turbine, die per Schwerlasttransport unterwegs war und der Kran, der bis 400 Tonnen heben und die Turbine in Position bringen kann, sich zunächst nicht zur gleichen Zeit auf dem Kraftwerksgelände eingefunden haben. Schwerlast- wie auch Montagelogistik ist heutzutage „just in time“ organisiert, was die Projektumsetzung zusätzlich spannend macht.
Was ist das Wichtigste, um so ein Projekt erfolgreich stemmen zu können?
René Röthig: Man braucht sehr gute Leute, sowohl im eigenen Haus, als auch bei den Spezialdienstleistern, die beteiligt sind. Ohne engagierte Mitarbeiter, die Ahnung haben und mitdenken, gelingt es nicht, so ein Projekt erfolgreich zu realisieren. Ich bin froh, dass die Kraftwerksspezialisten um unseren Abteilungsleiter Herrn Krechlak nach dem vorangegangenen kleineren Projekt „Kraftwerks-erneuerung HKW August-Bebel-Straße“ jetzt auch den Turbinen-austausch an unserem größten Standort souverän gemeistert haben. An dieser Stelle möchte ich gleich die Gelegenheit nutzen um öffentlich „Danke!“ zu sagen.
Konnten auch Riesaer Firmen als Auftragnehmer von der Investition profitieren?
René Röthig: Grundsätzlich sind insbesondere die Firmen Goodyear und Feralpi-Stahl (durch die Dampftrasse) sehr eng mit dem Kraftwerk durch die Lieferkette verbunden. Dadurch profitieren diese Firmen, wie alle anderen Kunden des „HKW Merzdorf“ auch von der Versorgungssicherheit, die mit dem Ersatz der verschlissenen alten Turbine durch eine neue Anlage auf dem aktuellen Stand der Technik verbunden ist.
Aber auch als Auftragnehmer konnten Riesaer Firmen sich in den entsprechenden Ausschreibungen durchsetzen. Klar ist, dass in Riesa keine Turbinenhersteller ansässig sind, so dass der Löwenanteil der Investitionssumme nicht an Riesaer Firmen beauftragt werden konnte. Jedoch beispielsweise im hochspezialisierten Bereich der Automatisierungstechnik konnten wir mit der HDGS GmbH eine Riesaer Firma mit Aufträgen im höheren 6-stelligen Bereich binden.
Neben der hohen Expertise, die alle beteiligten Partner eingebracht haben, hatte HDGS einen riesigen Anreisevorteil gegenüber den sonst teils national, teils international anreisenden Spezialisten.
In Zeiten von Corona mit Einreiseverboten, Quarantäneauflagen und Beherbergungseinschränkungen ist es schlicht ein wesentlicher Unterschied, wenn man nicht quer durch Europa reisen sondern nur von der Robert Koch Straße in Riesa starten muss, um zum „HKW Merzdorf“ zu kommen.
Seit wann wird mit der neuen Turbine Wärme und dem Generator Strom produziert?
René Röthig: Im Januar 2021 konnten wir beginnen, die wesentlichen Komponenten des Kraftwerkes hochzufahren. Wir werden demnächst den Inbetriebnahmeprozess abschließen.
Und was folgt dann?
René Röthig: Dann wird das Kraftwerk im so genannten 24/7-Betrieb (24 Stunden am Tag an 7 Tagen jeder Woche) von unseren Mitarbeitern betrieben. Aber auch an weiteren Investitionsprojekten mangelt es uns nicht. Eines ist nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, unser „PV-Kraftwerk Rostocker Straße“.
Wer erfolgreich bleiben will, muss aktiv sein und die richtigen Dinge richtig machen. Die Stadtwerke Riesa werden erfolgreich bleiben!
DIE FAKTEN ZUM HKW MERZDORF
Die umfangreichen Modernisierungsarbeiten im Heizkraftwerk „Merzdorf“ sind so gut wie abgeschlossen. Rund 5 Millionen Euro haben die Riesaer Stadtwerke in das Kraftwerk investiert. Die Technik des Kraftwerkes, bestehend aus dem Herzstück, der Gasturbine, sowie dem nachgeschalteten Kanalbrenner und einem Abhitzekessel, befinden sich derzeit im Inbetriebnahmeprozess.
Das Kraftwerk selbst erzeugt durch die Abgase der Turbine Dampf, welcher der umliegenden Industrie als sogenannter Prozessdampf zur Verfügung gestellt wird. Das entstandene Heißwasser fließt in das Fernwärmenetz ein und versorgt die anliegenden Wohngebiete. Der in der Gasturbine erzeugte Strom wird über einen Transformator in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Die Gasturbine und der Kanalbrenner wurden im Jahr 2019/2020 erneuert, der Abhitzekessel erhielt neue Mess- und Regeltechnik. Die drei Anlagen zusammen haben eine thermische Leistung von 37.400 kW. Die Gasturbine verzeichnet eine elektrische Leistung von 3.503 kW.
Weitere Informationen zur SWR-Wärme gibt es hier.